Glossar

Zur Beschäftigung mit dem Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:ze gehört die sprachkritische Auseinandersetzung mit der rassistischen Fremdbezeichnung sowie Worten, die Machtasymmetrien reproduzieren.  Die Frage muss häufig lauten: Wer spricht wie über wen? 

Wir haben auf der Website versucht, solche Terminologien zu vermeiden. Wenn das nicht ging, wollen wir sie doch wenigsten kritisch reflektieren. 

Deshalb entsteht hier ein kritischer Glossar. Dieser soll helfen, einige Worte besser einzuordnen. 

Antiziganismus // Balkan // Ethnizität/Ethnische Herkunft // Orientalismus // rassistische Fremdbezeichnung // Zigeuner

Antiziganismus

Antiziganismus ist ein historisch hergestellter stabiler Komplex eines gesellschaftlich etab­lierten Rassismus gegenüber sozialen Grup­pen, die mit dem Stigma Zigeuner (siehe weiter unten) oder ande­ren verwandten Bezeichnungen identifiziert werden. Er umfasst:

  • eine homogenisieren­de und essentialisierende Wahrnehmung und Darstellung dieser Gruppen; 
  • die Zuschrei­bung spezifischer Eigenschaften an diese; 
  • vor diesem Hintergrund entstehende diskrimi­nierende soziale Strukturen und gewalttätige Praxen, die herabsetzend und ausschließend wirken und strukturelle Ungleichheit repro­duzieren.

Der Begriff ist zu Recht umstritten. Im Kern der Kritik steht dabei das Argument, dass der enthaltene Wortstamm eine stigmatisierende Fremdbezeichnung reproduziert und dadurch legitimiert. Markus End folgend liegt darin allerdings auch seine Stärke: „Die Benennung als ‚Antiziganismus‘ betont den Konstruktions-Charakter und umfasst alle Personen und Gruppen, die von antiziganistischer Ausgrenzung und Verfolgung betroffen waren und sind“ (End 2016: 57). Wir sind der genannten Definition, wegen der Zuschreibung des Konstruktionscharakters des Terminus gefolgt. Wir weisen darauf hin, dass es sich bei der rassistischen Fremdzuschreibung um eine Konstruktion – Klischees und einen Stereotyp – handelt, der Menschen aus den Communities aufgestülpt wird.


Vgl. Pickel, Susanne und Stark, Toralf (2022): Antiziganismus als eigenständige Form des Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja. Ergebnisse einer Pilotstudie zur mehrdimensionalen Erfassung antiziganistischer Einstellungen in der Mehrheitsgesellschaft.  In: Forschungsergebnisse aus Kurzstudien des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) #3/22, Berlin. Hier

Vgl. End, Markus(2016): Die Dialektik der Aufklärung als Antiziganismuskritik. Thesen zu einer Kritischen Theorie des Antiziganismus. In: Wolfram Stender (Hg.): Konstellationen des Antiziganismus. Theoretische Grundlagen, empirische Forschung und Vorschläge für die Praxis, Wiesbaden, S. 57–61.  

Balkan

Balkanismus

Maria Todorova hat den Begriff des „Balkanismus“ in den 1990er-Jahren eingeführt. Sie vertritt die Meinung, dass Konzepte wie der Orientalismus von Edward Said auf einige Regionen nicht angewendet werden können.

Balkanismus ist keine Unterkategorie des Orientalismus, sondern eher eine Ergänzung. Während der Orient als das „vollständige Andere“ des europäischen Selbst konstruiert wird, ist der Balkan das „unvollständige Andere“. Sozusagen eine „unreine“ Form des „Anderen“, wodurch auch die Menschen dort gewissermaßen als „unrein“ stereotypisiert werden. Der Balkan wird als eine Übergangsregion zwischen Orient und Okzident betrachtet. Er wird bis heute stets mit Gewalt und Primitivität, mit Konservatismus und mit einer patriarchalen Gesellschaft in Verbindung gebracht.
Genauso wie DEN „Orient“ gibt es auch DEN „Balkan“ nicht wirklich: Es sind wirkmächtige westliche Sichtweisen (im Sinne der postkolonialen Theorie) auf außereuropäische Kulturen.

Berge

„Balkan“ ist die türkische Bezeichnung für Gebirge und zunächst neutral. Im ausgehenden 18. und besonders im 19. Jahrhundert beginnt jedoch eine sehr starke Semantisierung und negative Konnotation des Begriffs. Dem vorher neutralen Begriff, der eigentlich nur Berge bezeichnete, wurden in dieser Zeit weitere Bedeutungen zugemessen. Durch die Semantisierung wurde der Begriff auch abwertend umgedeutet.

Abwertung

Die Region, die heute als „Balkan“ bezeichnet wird, war rund 500 Jahre Teil des relativ konfliktarmen Osmanischen Reiches. Im 19. Jahrhundert wurden in der Region viele Stereotype des westlichen Denkens über den „Orient“ übernommen. Die Übernahme der Stereotype erfolgte dabei teilweise um die Erweiterung der Zuschreibung des „Unreinen“.

Islam-Abwertung

Die Ablehnung des islamischen Glaubens, die sowohl Teil des „Balkanismus“ als auch des „Orientalismus“ ist, wurde übernommen. So tauchen ab dem 19. Jahrhundert antimuslimischen Stereotype z.B. in der Kunst immer wieder auf. Sie setzten auf Binaritäten, auf das schwarz-weiße Bild von den guten Christen hier und den bösen Muslimen dort.


Vgl. Samuela Nickel im Interview mit Martina Baleva (2020): Das unvollständige Andere. Die Historikerin Martina Baleva über die Erfindung des Balkans in der Kunst des 19. Jahrhunderts, in: Neues Deutschland. Journalismus von links, 25.09.2020 hier.

Ethnizität / Ethnische Herkunft

Der Begriff Ethnizität stammt aus den Sozial- und Kulturwissenschaften. Der Begriff zeigt Fremdzuschreibungen gegenüber eines nicht genauer definierten „Anderen“. Seit den 1980er-Jahren steht das Konzept der Ethnizität im wissenschaftlichen Diskurs, weil es eine definierbare Gemeinsamkeit annimmt: Ethnizität setzt die Vorstellung einer gemeinsamen, abschließend ausgehandelten, kollektiven Identität voraus. Erst das ermöglicht die abgrenzende Definition des Anderen. Anders gesagt: Der Begriff verweist auf die Vorstellung, dass die Ethnizität auf einer vordiskursiven – das heißt in einer feststehenden, ohne Aushandlungsprozesse bedürfenden – Realität beruht. 

Das würde auch bedeuten, dass die so benannte Gemeinschaft eine historische Kontinuität aufweise. Das ist eine Vorstellung, die sehr eng dem „Rassenkonzept“ angelegt ist. Deshalb muss der Begriff abgelehnt werden. Der Konstruktivismus (eine Wissenschaftstradition) lehnt den Begriff Ethnizität ab und hinterfragt das Konzept der (kollektiven) Identität kritisch. Denn Identität, die entscheidende Größe für Ethnizität, kann nicht als gegeben angenommen werden. Identität ist für jeden Menschen anders: Sie ist ein subjektiv ausgehandeltes Konzepts und gleichzeitig ein Prozess – denn jeder kann sich jeder Zeit verändern: Weltanschauungen bleiben niemals gleich. 


Vgl. Sökefeld, Martin (2007): Problematische Begriffe: „Ethnizität“, „Rasse“, „Kultur“, „Minderheit“. In: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hrsg.): Ethnizität und Migration. Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder. Reimer Kulturwissenschaften, Berlin, S. 31-50. Hier

Orientalismus

Beschreibt ein eurozentristisches Konzept, welches auf Gesellschaften der arabischen Welt und des sog. „Nahen Ostens“ angewandt wird. Ziel des Konzepts ist es, die Gesellschaften als „anders“ zu konstruieren.

Machtposition

Dieses Konzept drückt ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem „Orient“ aus: Der „aufgeklärte Westen“ sei damit dem „mysteriösen Orient“ überlegen. Sehr kurz gesagt, geht es darum, eine wissenschaftlich-aufgeklärte Gesellschaft gegenüber einer angeblich mystischen und mit Magie in Verbindung stehenden Gesellschaft zu konstruieren.

Das Verhältnis: „Orient“ und „Okzident“

Edward Said, der den Begriff Orientalismus prägte, hat anhand akademischer Schriften, Reiseliteratur und Romanen herausgefunden, dass der „Orient“ eine Erfindung – ein romantischer Sehnsuchtsort – ist. Das Fremdbild der in Europa lebenden Menschen erschuf einen exotischen Schauplatz für das „Andere“ und für ihr eigenes (nicht-rationales) Unterbewusstses. Die europäische Kultur wurde dabei als rational, friedliebend, logisch denkend usw. definiert. Der Orient hingegen wird als radikales Gegenbild – als Gegenteil – dieses Entwurfs dargestellt: Irrational, kriegerisch, mystisch und magisch. Der „Orient“ ist weiblich, der „Okzident“ männlich konnotiert.

Religiöse Abwertung

In dem Konzept steckt aber noch viel mehr. Der Orientalismus zeigt ungebrochene Traditionen einer Feindseligkeit gegenüber dem islamischen Glauben. Vgl. hier zu „Balkanismus

Postkoloniale Theorie

Das Konzept des Orientalismus ist umstritten. Trotzdem hat es viele Anschlusspunkte und bildet eine der wichtigsten Grundlagen für die postkoloniale Wissenschaft. Mit dem Konzept des Orientalismus kann untersucht werden, wie stark das Verhältnis zwischen Europa und anderen Regionen, z.B. dem „Balkan“, kolonialistischen Annahmen geprägt ist.


Vgl. Wiedemann, Felix (2012): Orientalismus, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19. 4.2012. Hier

rassistische Fremdbezeichnung

Ist eine rassistische Fremdbezeichnung, die unter anderem für die Communities der Rom:nja und Sinti:ze verwendet wird. Diese Fremdbezeichnung wird seit Jahrhunderten verwendet. Wie der Begriff entstanden ist, ist unklar: Was feststeht, ist, dass er in seiner Verwendung  fast immer mit Ideen von Minderwertigkeit und Abwertung in Bezug auf Personengruppen verbunden ist.  Von den meisten Menschen in den Communities wird der Begriff deshalb abgelehnt. Ein anderer Grund für die Ablehnung ist die Geschichte:  Die rassistische Fremdbezeichnung ist sehr eng mit der Verfolgung von Rom:nja und Sinti:ze im Nationalsozialismus verknüpft.  Damals wurden Menschen aus den Communities mit einem „Z“ markiert. Hinter dem „Z“ stand eine Nummer. In Konzentrationslagern ersetzte diese Kombination den Namen der Menschen – sie wurden also vor ihrer Ermordung ihres Namens beraubt.

Aber: Einige Menschen aus den Communties nutzen den Begriff für sich selbst. Sie wollen den Begriff damit für sich zurückgewinnen. Das ist auch okay – jede Person hat das Recht, sich selbst zu nennen, wie sie möchte. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass jemand – vor allem, wenn die Person nicht aus den Communities ist – den Begriff ebenfalls verwenden darf. 

Während des ersten internationalen Romani Kongress nahe London, beschlossen verschiedene Vertreter von Romani Selbstorganisationen die Ablehnung dieser Fremdbezeichnung. Das alles fand erst 1971 statt. Damals einigten sich die Communities auf die Nutzung des eigenen Begriffes Roma. Roma ist also eine Selbstbezeichnung. Wir haben den Begriff, wenn wir ihn verwenden mussten, extra durchgestrichen. Wir folgen damit der Idee von Menschen aus den Communities. Sie sagen: Wenn es unbedingt sein muss, dann kann man den Begriff aktiv nicht schreiben: Ihn durchstreichen. Damit stören wir den Begriff und tragen dazu bei, dass er nicht mehr aktiv genutzt wird. 


Vgl.Barz, Hajdi (2019): MIMANS GESCHICHTE. Handreichung zum Thema Gadjé-Rassismus. Pädagogisches Begleitmaterial zu vier Video-Modulen aus dem Dokumentarfilm, Berlin, S. 99. Hier

Zigeuner

siehe rassistische Fremdbezeichnung

Wir haben den Begriff, wenn wir ihn verwenden mussten, durchgestrichen. Wir folgen damit einer Idee von Menschen aus den Communities. Sie sagen: Wenn es unbedingt sein muss, kann man den Begriff aktiv nicht schreiben: Ihn durchstreichen. Damit stören wir den Begriff und tragen dazu bei, dass er nicht mehr aktiv genutzt wird.

weitere Begriffe die demnächst hier hinzugefügt werden:

Romantisierung