Reisen

Reisen verbindet man heute mit Erholung und auch Abenteuer.Viele der Ansichtskarten zeigen Personen unterwegs. Sie zeigen Jung und alt auf einem Pferd reiten, über offenem Feuer kochen und auf einem Feld die Wäsche waschen. Es heißt: Weiterziehen, anhalten, und an den nächsten Ort reisen.

„Mehrheitsgesellschaft“

Hier wird ein klarer Kontrast zwischen diesen Personen und der „Mehrheitsgesellschaft“ gezogen: Das Unterwegssein scheint, anders als für die “Mehrheitsgesellschaft”, keine Besonderheit, sondern der Lebensstil der abgebildeten Personen zu sein. Sie reisen nicht aus Erholung und auch nicht aus Abenteuer. Das “Nomadentum” wird ihnen als Eigenschaft und als Teil einer konstruierten kulturellen Identität zugeschrieben. Für eben diese Zuschreibungen werden sie entweder missachtet oder beneidet. Der Neid entwickelt sich unter anderem aus der romantisierenden Vorstellung, Menschen, die unter der rassistischen Fremdbezeichnung gelesen werden, keine gesellschaftlichen Verpflichtungen und Konventionen einhalten und keine Verantwortung tragen müssten. 

Zuhause der Community der Rom:nja und Sinti:zze

Während die Reise der “Mehrheitsgesellschaft” mit der Rückkehr nach Hause endet, führt die Reise der „Anderen“ einfach geradeaus.  Ein Zuhause mit Wänden aus Beton und einem Dach aus Ziegeln scheint unmöglich. Ein Zuhause auf der Straße sei die Realität. 

Die Realität ist anders: Die große Mehrheit der Angehörigen der Communities der Rom:nja und Sinti:ze lebt sesshaft. In vielen ihrer europäischen Ländern verwehrt die “Mehrheitsgesellschaft” oft eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Mehr noch: In vielen Fällen wird so getan, als würden die Menschen nicht dorthin gehören, wo sie geboren und aufgewachsen sind. Dadurch werden die Lebensrealitäten und ihre Hintergründe der Minderheiten, die tatsächlich nomadisch leben, konsequent ignoriert und zu einer kulturalistischen Erzählung über diejenigen, die anders sein sollen.

Jahrhunderte der Vertreibung, Hetzjagden und Flucht

Denn Jahrhunderte der Vertreibung, Hetzjagden und Flucht drängen jede:n dazu, das Zuhause zu verlassen.  

Das Umherziehen bedeutet(e) für die meisten Rom:nja und Sinti:ze nicht Erholung oder Abenteuer. Es war und ist ein von der “Mehrheitsgesellschaft” erschaffener Reisezwang, um zu Überleben.